Glanz und Fall einer falschen Spanierin

Das Freie Landestheater spielt Peter Kreuders Musical „Lola Montez“

Auf Ihrer Flucht nach Amerika weilte Lola Montez im Jahr 1848 für eine Nacht in Schloss Blutenburg. Komponist Peter Kreuder (1905 - 1980), nach dem in Obermenzing eine Straße benannt ist, schrieb über die spanische Tänzerin bereits vor Jahrzehnten ein Musical, welches nun erstmals aufgeführt wurde. Es war vom 7. bis 24. August 2003 im Deutschen Theater in München zu sehen.

In der Bayerischen Staatszeitung erschien am 28. März 2003 nachfolgender Artikel von Roland Dippel:

Perchtenmasken umringen die Titelheldin im Finale der aufwändigsten Produktion des Freien Landestheaters Bayern. Deren erste öffentliche Aufführungen waren vergangene Woche im Waitzinger Keller Miesbach zu sehen: Mit einem eisigen „laisser-moi passer“ entschwindet Lola Montez, Ex-Favoritin Ludwigs I, aus München – der König hat abgedankt, der Student Martaler opferte zu Lolas Verteidigung sein Leben, ihre leidenschaftliche Affäre zu Leutnant Nußbaumer zerbricht.

In acht handlungsreichen Bildern vollzieht sich der falschen Spanierin Glanz und Fall. Jeder ihrer Auftritte zeigt eine neue Facette der Tänzerin und Luxusfrau, die in München 1846 bis 1848 zum Skandal europäischem Format wurde. Diese Lola ist eine Paraderolle. Sie liebt, rast, intrigiert – und tanzt! Ihr Komponist Peter Kreuder bedachte sie mit nicht weniger als vier Solonummern, vom ausgelassenen Stimmungslied bis zum melancholischen Tangofinale. Dazu mit ebenso vielen Tänzen. Dieser beträchtlichen musikdramatischen Herausforderung stellte sich Elisabeth Neuhäusler – und gewann.

Über 20 Jahre vor Hummels durchkomponiertem Opernmusical „Ludwig. Sehnsucht nach dem Paradies“, auch lange vor Wecks „Elisabeth“_Produktion hatten Peter Kreuder und Maurus Pacher, damals Feuilleton-Redakteur der tz, ein Musical mit Motiven aus der Münchner Geschichte geschaffen. Zur falschen Zeit. Die „Weltstadt mit Herz“ gab sich nach den Olympischen Spielen 1972 betont international. Verpönt war alles, was an heimische Tradition anknüpfte.

Der Komponist und sein Textdichter machten sich auf die Suche nach einer Aufführungsmöglichkeit für ihre „Lola Montez“. In Frage kamen eigentlich nur zwei Theater. Doch vor dem Umbau waren Eigenproduktionen im Deutschen Theater, Kreuders künstlerischer Heimat, von Schwierigkeiten begleitet. Und am Staatstheater am Gärtnerplatz verlagerte sich der Spielplan unter Kurt Pschere zunehmend von der Operette zur Oper. Peter Kreuder steckte meit einem „Na, dann eben nicht!“ das abgeschlossene Particell in die Schublade.

Der in Schliersee lebende Dirigent Timm Tzschaschel war 1999 auf das unaufgeführte Opus gestoßen (via www.peterkreuder.com). Er brachte Ingrid Kreuder, die Witwe des 1980 gestorbenen Komponisten, und Rudolf Maier-Kleeblatt, den Intendant des Freien Landestheaters Bayern, zusammen. Maier-Kleeblatt suchte nach einem geeigneten Stück in Fortsetzung der am FLTB favorisierten, im süddeutschen Raum verankerten Musiktheater-Werken. Nach der „Zaubergeige“, einem wesentlichen Beitrag zu den bayernweiten Egk-Feierlichkeiten 2001, und Kutschenreuthers „Bayerischer Nationaloperette“ „Der Holledauer Fidel“ war das schwierig: Jetzt ist „Lola Montez“ als Uraufführungsproduktion der Höhepunkt einer Repertoirepflege, die im vergangenen Herbst vom Kunstministerium mit einer Subventionserhöhung bedacht wurde. Die Kreisparkasse Miesbach ermöglicht die im Mai 2003 erscheinende CD-Ersteinspielung.

Unverständlich heute, dass im bemüht internationalen München der 70er Jahre kein Theater für „Lola Montez“zu gewinnen war. Dicht gedrängt folgen bewegte Chöre, Ensembles und üppig schwelgenrische Melodien für die ungetreue Lola, ihre drei Liebhaber und zahllose Feinde. Kreuders Partitur verrät Bühneninstinkt, ist wirkungsvoll in der Vielfalt der Stile. Timm Tzschaschels Instrumentation (nach den Skizzen des 1980 verstorbenen Komponisten) enthält zuhauf abwechslungsreiche Farbtupfer in der Klangpalette. Im spiel- und tanzfreudigen Chor offenbaren sich unter bigotten Betschwestern und aggressiven Altmünchnern zahlreiche Naturbegabungen. Fast jeder im Ensemble hat einen kleinen Soloauftritt – am Marienplatz, in Ludwigs Residenz-Zimmer oder in der Theatinerkirche. Diese historischen Schauplätze sind riesige doppelseitige Abbildungen in einem edelroten Bilderbuch. Bühnenbildnerin Simone Speer stellte vor weißblauem Schäfchenhimmel das Haupt der Bavaria dazu – jenes Symbol von Bayerns höheren Werten, die im Stück am allzu Menschlichen scheitern: Im Bavariakopf steckt das Liebeslager, auf dem Ludwig II. als kleiner Bub mit hölzernem Lohengrin-Schwan die Geliebte seines Großvaters entdeckt. Der leutselige Monarch singt davor seinem Enkel ein inniges Lied über Herrscher-Dasein.

Georg Blüml lässt in seiner detailreichen Inszenierung das Volk lustvoll feiern und rebellieren,setrzt auf vitale Kontraste. Ein wirkungsvolles Figurenarsenal schart sich um die Protagonistin: der hämische Polizeiminister von Pechmann, der sympathische Hofmaler Stieler und die sittenstrenge Oberwäschebeschließerin Emerenzia Klachelmoser, die es auf Lolas parfümierten Begleiter Bébé abgesehen hat. Lolas Liebhaber Nußbaumer wurde vom Komponisten mit schmelzenden Tenor-Kantilenen überschüttet. Der Student Martaler stirbt in ihren Armen, seine unerwiderte Liebe findet so doch noch eine Erfüllung.

Michael Kitzeder choreographierte die Genreszenen zwischen Bierrevolution und Münchner Faschingstreiben. Unter den Mitwirkenden mit vielen Ensemblesäulen des freien Landestheaters befinden sich Marko Kathol, Publikumsliebling vom Gärtnerplatztheater, und die Münchner Schauspielerin und Kabarettistin Susanne Brantl. In der schillernden Titelrolle alternieren Elisabeth Neuhäusler und Christin Mollnar.

Kreuder hatte das Werk einmal „Drama per musica“ genannt. Zu Recht, dieses Musical enthält Komisches, Trauriges und sogar Kauziges. In seiner erzkomödiantischen und direkten Ehrlichkeit, durch viele Melodien mit Evergreen-Qualität hat es Tempo und Abwechslungsreichtum. Kundige können sich an vielen Motiven und Anekdoten erfreuen, die das Produktionsteam des bestens dokumentierten Historie entlehnten.

Nach der öffentlichen Erstaufführung in Anwesenheit von Ingrid Kreuder und Maurus Pacher beginnt das Freie Landestheater eine Gastspielserie. In diesen Voraufführungen wird – ganz wie im amerikanischen Musical-Business – geputzt, gestrafft, verfeinert. Am 7. August 2003 endlich öffnet sich dann im Deutschen Theater der Vorhang zur Welturaufführung. Sie ist ein wesentliches Ereignis im Vorfeld zum Kreuder-Jubiläum, seinem hundertsten Geburtstag 2005. Beim Deutschen Taschenbuch Verlag erscheint bereits im Sommer 2003 die Neuausgabe seiner Memoiren „Nur Puppen haben keine Tränen“.

(Roland Dippel)

 

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